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Neue Erkenntnisse zu schlesischen Opfern des NS-Krankenmordes

Erstellt von MF |

Auf der diesjährigen Frühjahrstagung des Arbeitskreises zur Erforschung der NS-„Euthanasie“ und Zwangssterilisation stand das Schicksal schlesischer Patienten im Mittelpunkt.

Vom 8.-10. Juni 2017 trafen sich in Görlitz und Rothenburg Historiker, Medizinhistoriker, Gedenkstättenmitarbeiter, Psychiater, Psychologen und Interessierte um über die neuesten Forschungsergebnisse zum NS-Krankenmord zu diskutieren. Den Auftakt bildeten zwei öffentliche Abendvorträge im schlesischen Museum Görlitz zur Geschichte Schlesiens im Nationalsozialismus (Markus Bauer) und zu medizingeschichtlichen Quellen der Stadt Görlitz (Siegfried Hoche).

Der zweite Tagungstag fand im Martinshof Rothenburg statt. Der Martinshof war eine jener ehemals schlesischen Einrichtungen um die es während der Tagung schwerpunktmäßig gehen sollte. Nach einem Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu schlesischen Anstalten (Dietmar Schulze), stellte Manja Krausche ihre Forschungsergebnisse zum Martinshof vor. Sie zeichnete die Verlegungswege der Bewohner, die 1941 im Zuge der Räumung und Umfunktionierung zu einem jüdischen Ghetto den Martinshof verlassen mussten, nach. Einige von ihnen wurden in Pirna-Sonnenstein ermordet. Der Sonnenstein wurde zum Ziel zahlreicher Transporte aus verschiedensten schlesischen Anstalten, wie Boris Böhm berichtete. Die Verlegung erfolgte dabei häufig über Zwischenanstalten, z.B. Großschweidnitz. Hagen Markwardt nahm diese Transporte genauer in den Blick. Er zeigte, dass die in Großschweidnitz als „Durchgangspatienten“ gestrandeten Patienten deutlich häufiger starben als die übrigen, sächsischen Patienten. Nicht wenige verstarben bereits kurz nach ihrer Ankunft, noch bevor sie nach Pirna-Sonnenstein weiterverlegt werden konnten. Andere verblieben nach dem Abbruch der „Aktion T4“ in Großschweidnitz, und fielen überdosierten Medikamenten, gezielter Vernachlässigung und Hunger zum Opfer.

Nach einem Rundgang durch den Martinshof und dem Besuch der Ausstellung „Vergessene Opfer der NS-‚Euthanasie‘. Die Ermordung schlesischer Anstaltspatienten 1940-1945“ wurde das Programm mit aktuellen Themen fortgesetzt. So wurden die Teilnehmer über den aktuellen Stand und die Konzeption der Gedenkstätte Großschweidnitz informiert (Maria Fiebrandt). In der Tradition des Arbeitskreises widmeten sich anschließend Petra Fuchs und Michael Wunder aktuellen bioethischen Fragen. Beide gingen der Frage nach, inwieweit auch heute noch Zwangssterilisationen bzw. Sterilisationen ohne Einwilligung des Betroffenen erfolgen. Sie berichteten, dass behinderte Menschen ohne ihr Wissen oder ihre Zustimmung auch heute noch Opfer von Sterilisationen werden bzw. Verhütungsmittel verabreicht bekommen.

Der dritte Tagungstag stand im Zeichen aktueller Forschungen. Christoph Hanzig präsentierte erste Ergebnisse der Auswertung der sächsischen NS-Zeitung „Der Freiheitskampf“ am Beispiel der darin zu findenden rassenhygienischen Propaganda. Elisabeth Malleier berichtete über ihre Recherchen zu ihrem Großonkel, der im niederösterreichischen Hohenberg den Krankenmorden zum Opfer fiel. Robert Parzer stellte die überarbeitete Homepage „Gedenkort-T4.eu“ vor. Udo Dittmann berichtete vom Mahnmal für die „Euthanasie“-Opfer in Braunschweig.

Die Tagung wurde vom Martinshof Rothenburg Diakoniewerk in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, der Gedenkstätte Großschweidnitz, dem Schlesischen Museum Görlitz und der Hochschule Zittau/Görlitz veranstaltet.

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Denkort_Martinshof_Rothenburg.jpg
Denkort im Martinshof Rothenburg