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Der historische Ort

Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert wurden im gesamten Deutschen Reich zahlreiche Psychiatrien neu errichtet. Eine von ihnen war die 1902 gegründete Königlich-Sächsische Heil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz. Sie verfügte über 524 Betten, die auf verschiedene kleinere Häuser in einer parkähnlichen Anlage verteilt waren. Schon bald erwies sich die Einrichtung als zu klein. Ab 1912 entstanden deshalb weitere Häuser in der typischen gelben Klinkerbauweise.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges änderten sich die Lebensbedingungen in der Anstalt dramatisch. Aufgrund unzureichender Ernährung und Versorgung wurde der Hunger zum Alltag. Die Sterblichkeit stieg drastisch an.

Die Zeit der Weimarer Republik war geprägt von der Reformpsychiatrie, die mit neuen therapeutischen Möglichkeiten versuchte, PatientInnen gezielt zu heilen. Die damit verbundenen Kosten und die rassenhygienischen Theorien, die sich im Nachgang des Ersten Weltkrieges etablierten, führten zu einer Debatte: sollten psychisch kranke Menschen, die als "minderwertig" galten, durch Sterilisation an der Fortpflanzung gehindert werden?

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 wurde dies zum Ziel der NS-Gesundheitspolitik. Ab 1934 gehörten Zwangssterilisationen zum Anstaltsalltag. Als "unnütze Esser" und "Ballastexistenzen" betrachtet, erhielten die PatientInnen immer weniger Lebensmittel. 1938 wurde auch in Großschweidnitz eine "Sonderkost" eingeführt. Es handelte sich um eine fleischlose, kalorienreduzierte Breikost, die vor allem die nicht arbeitsfähigen PatientInnen erhielten, was langfristig zu einer systematischen Unterversorgung führte.

Der Beginn des Zweiten Weltkrieges markierte auch den Beginn der systematischen Ermordung der PsychiatriepatInnen. Die Landesanstalt Großschweidnitz wurde zu einem Rad in der Maschinerie der NS-Vernichtungspolitik.

Über 2.300 psychisch kranke, geistig behinderte und alte Menschen wurden zwischen Juli 1940 und August 1941 über die Anstalt Großschweidnitz in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein verlegt, wo sie in einer Gaskammer ermordet wurden ("Aktion T4"). Großschweidnitz war für die PatientInnen, die aus schlesischen, ost- und westpreußischen oder fränkischen Anstalten dorthin gelangten, zu einer Zwischenanstalt, einer Zwischenstation in den Tod, geworden. 

Noch während der "Aktion T4" wurde die Anstalt Großschweidnitz selbst zu einem Ort des Todes. Die ersten Opfer waren Kinder. Sie stammten überwiegend aus dem unweit gelegenen Katharinenhof, der im Herbst 1940 aufgelöst worden war. Die Kinder wurden Ende 1940/Anfang 1941 durch das Beruhigungsmittel Trional ermordet ("Trional-Kur"). Eine Wärterin gab nach 1945 zu Protokoll:

"Das ging los zu Weihnachten 1940 mit einer sogenannten 'Kur', bei der die Kinder Trional-Tabletten bekamen. Die Betroffenen bekamen nichts zu essen, aber immer wieder Trional, meist am Tage 4 Mal. Dieser Kur sind etwa 30 Kinder zum Opfer gefallen. In mancher Nacht waren 6 Leichen. Diese Kur hat Fräulein Dr. Ochsenfahrt unter Leitung von Dr. Schulz [Anstaltsdirektor] durchgeführt."
(Aussage M. Wechler im Dresdner "Euthanasie"-Prozess, Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, 11120, 2527, Bl. 173f.)

Durch systematische Unterernährung, pflegerische Vernachlässigung und überdosierte Beruhigungsmittel starben in Großschweidnitz bis zum Kriegsende 1945 insgesamt mehr als 5.500 Menschen. Sie waren aus dem gesamten Deutschen Reich nach Großschweidnitz verlegt worden, z.B. Schlesien, dem Rheinland oder Ostpreußen. Auch psychisch erkrankte ZwangsarbeiterInnen aus Polen, der Sowjetunion, Belgien oder Italien, waren unter den Opfern. Wer bei der Aufnahme von den ÄrztInnen, Schwestern und Pflegern als störend, unruhig, pflegeaufwendig, aggressiv und nicht arbeitsfähig eingestuft wurde, verstarb meist innerhalb eines halben Jahres. Auffallend ist dabei eine Häufung bestimmter Todesursachen. Diese deuten auf eine gezielte Tötung durch überdosierte und damit tödliche Beruhigungsmittel wie Luminal oder Veronal hin (Lungenentzündung) und/oder systematische Unterernährung und Mangelversorgung (Marasmus). Betroffen waren häufig ältere Menschen, die ab 1942 gezielt aus sächsischen und schlesischen Altersheimen nach Großschweidnitz verbracht wurden.

Ein an den Morden beteiligter, und nach 1945 angeklagter Arzt schilderte die Morde wie folgt:

"Das Haus für 'schwerst niedergeführte und schwerst erregbare Kranke' war die Station 30 [...] In diese Station habe ich diejenigen Kranken verlegt, die Sterbemedizin bekommen sollten. Auch von anderen Frauenstationen wurden Kranke aus dem gleichen Grund dorthin verlegt. Sobald diese Kranken zu mir kamen, hat ihre Behandlung mir oblegen. Ich habe deshalb für sämtliche Insassen des Hauses 30, die euthanasiert werden sollten, die Sterbemedizin verordnet. [...] Die Stationen haben [...] verschiedenen Oberschwestern unterstanden. [...] Auch sie haben natürlich darüber, dass mit der verschriebenen Medizin Kranke beseitigt werden sollen, Bescheid gewusst."
(Aussage R. Herzer im Dresdner "Euthanasie"-Prozess, Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, 11120, 2528, Bl. 394)

Ab 1943, mit der Einrichtung einer "Kinderfachabteilung", wurde Großschweidnitz auch zu einem Ort der "Kindereuthanasie". Insgesamt starben zwischen 1939 und 1945 etwa 550 Kinder und Jugendliche, die Mehrzahl nach 1943, also nach der Einrichtung der "Kinderfachabteilung". 

Mit dem Kriegsende endeten die Morde, auch wenn die Sterblichkeit aufgrund der katastrophalen Lebensbedingungen in der Anstalt noch bis 1946 hoch blieb.

Zwei ÄrztInnen und sieben Schwestern mussten sich 1947 im Dresdner "Euthanasie"-Prozess für ihre Beteiligung an den Morden rechtfertigen. Sie erhielten zum Teil hohe Zuchthausstrafen. Andere konnten ihre Rolle verschleiern. Die Ärztin Elfriede Ochsenfahrt machte im Gesundheitssystem der DDR sogar Karriere.

Die Landesanstalt Großschweidnitz wurde 1967 zum „Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie“.